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Die Gänsemagd: Ein Märchen voller Symbolik, Verrat und Gerechtigkeit

Die Gänsemagd: Ein Märchen voller Symbolik, Verrat und Gerechtigkeit
19:18

Das Märchen Die Gänsemagd, oft auch nur bekannt als Falada, zählt zu den bekanntesten Geschichten aus den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm, erstmals veröffentlicht im Jahr 1812. Es erzählt die Geschichte einer jungen Prinzessin, die von ihrer Dienerin hintergangen wird, ihren königlichen Status verliert und als Gänsemagd arbeiten muss, bevor sie schließlich ihre wahre Identität zurückgewinnt. Mit zentralen Figuren wie dem sprechenden Pferd Falada, der falschen Braut und dem loyalen König hebt sich diese Geschichte durch ihre tiefgründige Symbolik und ihre starken moralischen Botschaften hervor.

In diesem Artikel werfen wir einen Blick auf die Ursprünge dieses Märchens, entschlüsseln die zentrale Symbolik und analysieren die Figuren. Schließlich betrachten wir die moralische Botschaft der Geschichte und fragen, warum sie auch heute noch relevant ist.

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Ursprünge und historischer Kontext von Falada

Die Brüder Grimm, Jacob und Wilhelm, sammelten Die Gänsemagd aus der reichen Tradition mündlicher Überlieferung, die im frühen 19. Jahrhundert in Deutschland weit verbreitet war. Diese Geschichten wurden häufig von Frauen, insbesondere Großmüttern und Mägden, weitererzählt, wodurch sie von Generation zu Generation weitergegeben wurden.

Die Aufnahme von Die Gänsemagd in die erste Ausgabe der Kinder- und Hausmärchen spiegelt das Bestreben der Gebrüder Grimm wider, die deutsche Volkskultur zu bewahren. Es handelt sich dabei nicht nur um eine Erzählung, sondern um ein Dokument der sozialen und kulturellen Werte jener Zeit.

Interessanterweise findet man ähnliche Märchenmotive auch in anderen Kulturen. In der norwegischen Folklore gibt es zum Beispiel die Geschichte Prinzessin auf der Flucht, die ebenfalls von Verrat und Rollentausch handelt. Ebenso erinnert die zentrale Handlung an den französischen Märchenklassiker Aschenputtel, in dem die wahre Identität der Protagonistin verborgen bleibt, bis Gerechtigkeit geschieht. Diese Gemeinsamkeiten verdeutlichen, wie universell Themen wie Verrat, Identitätsverlust und letztlich die Wiederherstellung von Ordnung in Märchen sind.

Symbolik und Themen

Die Gänsemagd ist reich an Symbolen, die tief in der Psychologie und der kulturellen Bedeutung verwurzelt sind:

  • Falada, das sprechende Pferd: Falada symbolisiert Loyalität und Wahrheit. Selbst nach dem Tod spricht Falada und gibt der Prinzessin Mut, für sich selbst einzustehen. In vielen Märchen haben Tiere magische Fähigkeiten und dienen als Bindeglied zwischen der menschlichen und der spirituellen Welt.
  • Das blutbefleckte Tuch: Dieses Tuch, das die Prinzessin bei sich trägt, steht für ihre königliche Herkunft und ihren Schutz. Als sie das Tuch verliert, wird sie verletzlich und ihrer Macht beraubt.
  • Die Rolle der Magie: Magie spielt eine subtile, aber entscheidende Rolle. Sie dient nicht als Allheilmittel, sondern hebt zentrale moralische Botschaften hervor, wie die Bedeutung von Wahrheit und Selbstentfaltung.

Zu den zentralen Themen des Märchens gehören:

  1. Identitätsverlust und -wiederherstellung: Die Prinzessin wird ihrer königlichen Identität beraubt, doch ihre inneren Qualitäten führen schließlich zu ihrer Wiedereinsetzung.
  2. Schein versus Sein: Die falsche Braut mag äußerlich königlich wirken, doch ihr innerer Verrat führt zu ihrem Untergang. Dieses Thema zieht sich durch viele Märchen, wie etwa Schneewittchen.
  3. Die Konsequenzen von Täuschung: Die Bestrafung der falschen Braut zeigt, dass Betrug in der Märchenwelt immer Konsequenzen hat.

Figurenanalyse von Falada

Die Figuren in Die Gänsemagd sind archetypisch und tragen jeweils zur zentralen Botschaft der Geschichte bei:

  • Die Prinzessin: Sie mag auf den ersten Blick passiv erscheinen, doch ihre stille Stärke, Resilienz und moralische Integrität machen sie zu einer beeindruckenden Figur. Trotz ihrer harten Prüfungen bleibt sie ihrem Wesen treu und wird schließlich belohnt.
  • Die Magd (falsche Braut): Die Magd repräsentiert Verrat und Ehrgeiz. Sie ist eine klassische Gegenspielerin, deren Täuschung und Gier letztlich zu ihrer Bestrafung führen.
  • Falada: Als sprechendes Pferd ist Falada eine einzigartige Figur, die Wahrheit und Loyalität symbolisiert. Seine magische Präsenz dient der Prinzessin als moralische Stütze.
  • Der König und Kürdchen: Der König, der die wahre Identität der Prinzessin erkennt, steht für Gerechtigkeit. Kürdchen, der junge Gänsehirt, dient als humorvoller Nebencharakter, der das Märchen auflockert und gleichzeitig den Weg zur Auflösung der Geschichte ebnet.

Frauenrollen im Märchen

Frauen nehmen in Märchen wie Die Gänsemagd oft zentrale Rollen ein, die sowohl Stärken als auch gesellschaftliche Erwartungen widerspiegeln. Die Prinzessin repräsentiert oft die Tugenden, die in der damaligen Zeit von Frauen erwartet wurden: Bescheidenheit, Geduld und innere Stärke.

Doch viele Märchen – einschließlich dieses – zeigen auch die Ambivalenz weiblicher Figuren. Während die Prinzessin für moralische Integrität steht, verkörpert die Magd Eigenschaften wie Ehrgeiz und Täuschung, die mit negativen Konsequenzen verbunden sind. Diese Kontraste spiegeln die Spannungen wider, die Frauen damals erleben konnten, gefangen zwischen traditionellen Rollenbildern und ihren eigenen Bestrebungen. Dennoch vermitteln Märchen wie dieses eine subtile Botschaft über weibliche Resilienz und die Fähigkeit, Widrigkeiten zu überwinden.

Moralische Botschaft und Relevanz

Die zentrale Botschaft von Die Gänsemagd lautet: Ehrlichkeit, Bescheidenheit und innere Stärke werden belohnt, während Täuschung und Verrat bestraft werden. Dieses Märchen reflektiert gesellschaftliche Werte des 19. Jahrhunderts, insbesondere in Bezug auf die Bedeutung von sozialer Ordnung und Gerechtigkeit. Die Wiedereinsetzung der Prinzessin in ihren rechtmäßigen Rang zeigt, dass wahre Würde nicht durch äußere Umstände verloren gehen kann. In einer modernen Welt, die oft von Oberflächlichkeit und sozialen Masken geprägt ist, bleibt diese Botschaft relevant. Die Gänsemagd erinnert uns daran, dass wahre Stärke und Integrität von innen kommen.

Die Geschichte zeigt, wie wichtig es ist, in schwierigen Zeiten seine Werte zu bewahren – eine Lektion, die über Generationen hinweg Bedeutung hat. Die Gänsemagd ist mehr als nur ein Märchen – es ist eine Erzählung über Verrat, Loyalität und die Kraft der Wahrheit. Mit seinen reichen Symbolen, archetypischen Figuren und universellen Themen ist es ein zeitloses Werk, das sowohl Kinder als auch Erwachsene anspricht.

Die Brüder Grimm schufen mit dieser Geschichte nicht nur ein literarisches Juwel, sondern auch ein kulturelles Zeugnis, das die Essenz menschlicher Werte einfängt. Ihre Fähigkeit, universelle Wahrheiten durch einfache, aber tiefgründige Geschichten zu vermitteln, macht Märchen wie dieses so kraftvoll und unvergänglich.

 

Die Gänsemagd Falada – Vollständiger Märchentext

Es lebte einmal eine alte Königin, der war ihr Gemahl schon lange Jahre gestorben, und sie hatte eine schöne Tochter. Wie die erwuchs, wurde sie weit über Feld an einen Königssohn versprochen.

Als nun die Zeit kam, wo sie vermählt werden sollten und das Kind in das fremde Reich abreisen mußte, packte ihr die Alte gar viel köstliches Gerät und Geschmeide ein, Gold und Silber, Becher und Kleinode, kurz alles, was nur zu einem königlichen Brautschatz gehörte, denn sie hatte ihr Kind von Herzen lieb.

Auch gab sie ihr eine Kammerjungfer bei, welche mitreiten und die Braut in die Hände des Bräutigams überliefern sollte, und jede bekam ein Pferd zur Reise, aber das Pferd der Königstochter hieß Falada und konnte sprechen. Wie nun die Abschiedsstunde da war, begab sich die alte Mutter in ihre Schlafkammer, nahm ein Messerlein und schnitt damit in ihre Finger, daß sie bluteten: darauf hielt sie ein weißes Läppchen unter und ließ drei Tropfen Blut hineinfallen, gab sie der Tochter und sprach „liebes Kind, verwahre sie wohl, sie werden dir unterwegs not tun.“

Also nahmen beide voneinander betrübten Abschied: das Läppchen steckte die Königstochter in ihren Busen vor sich, setzte sich aufs Pferd und zog nun fort zu ihrem Bräutigam. Da sie eine Stunde geritten waren, empfand sie heißen Durst und sprach zu ihrer Kammerjungfer „steig ab, und schöpfe mir mit meinem Becher, den du für mich mitgenommen hast, Wasser aus dem Bache, ich möchte gern einmal trinken.“

„Wenn Ihr Durst habt,“ sprach die Kammerjungfer, „so steigt selber ab, legt Euch ans Wasser und trinkt, ich mag Eure Magd nicht sein.“

Da stieg die Königstochter vor großem Durst herunter, neigte sich über das Wasser im Bach und trank, und durfte nicht aus dem goldenen Becher trinken. Da sprach sie „ach Gott!“ da antworteten die drei Blutstropfen „wenn das deine Mutter wüßte, das Herz im Leibe tät ihr zerspringen.“

Aber die Königsbraut war demütig, sagte nichts und stieg wieder zu Pferde. So ritten sie etliche Meilen weiter fort, aber der Tag war warm, die Sonne stach, und sie durstete bald von neuem. Da sie nun an einen Wasserfluß kamen, rief sie noch einmal ihrer Kammerjungfer „steig ab und gib mir aus meinem Goldbecher zu trinken,“ denn sie hatte aller bösen Worte längst vergessen.

Die Kammerjungfer sprach aber noch hochmütiger „wollt Ihr trinken, so trinkt allein, ich mag nicht Eure Magd sein.“ Da stieg die Königstochter hernieder vor großem Durst, legte sich über das fließende Wasser, weinte und sprach „ach Gott!“ und die Blutstropfen antworteten wiederum „wenn das deine Mutter wüßte, das Herz im Leibe tät ihr zerspringen.“

Und wie sie so trank und sich recht überlehnte, fiel ihr das Läppchen, worin die drei Tropfen waren, aus dem Busen und floß mit dem Wasser fort, ohne daß sie es in ihrer großen Angst merkte. Die Kammerjungfer hatte aber zugesehen und freute sich, daß sie Gewalt über die Braut bekäme: denn damit, daß diese die Blutstropfen verloren hatte, war sie schwach und machtlos geworden.

Als sie nun wieder auf ihr Pferd steigen wollte, das da hieß Falada, sagte die Kammerfrau „auf Falada gehör ich, und auf meinen Gaul gehörst du;“ und das mußte sie sich gefallen lassen. Dann befahl ihr die Kammerfrau mit harten Worten, die königlichen Kleider auszuziehen und ihre schlechten anzulegen, und endlich mußte sie sich unter freiem Himmel verschwören, daß sie am königlichen Hof keinem Menschen etwas davon sprechen wollte; und wenn sie diesen Eid nicht abgelegt hätte, wäre sie auf der Stelle umgebracht worden. Aber Falada sah das alles an und nahms wohl in acht.

Die Kammerfrau stieg nun auf Falada und die wahre Braut auf das schlechte Roß, und so zogen sie weiter, bis sie endlich in dem königlichen Schloß eintrafen. Da war große Freude über ihre Ankunft, und der Königssohn sprang ihnen entgegen, hob die Kammerfrau vom Pferde und meinte, sie wäre seine Gemahlin: sie ward die Treppe hinaufgeführt, die wahre Königstochter aber mußte unten stehen bleiben.

Da schaute der alte König am Fenster und sah sie im Hof halten und sah, wie sie fein war, zart und gar schön: ging alsbald hin ins königliche Gemach und fragte die Braut nach der, die sie bei sich hätte und da unten im Hofe stände, und wer sie wäre.

„Die hab ich mir unterwegs mitgenommen zur Gesellschaft; gebt der Magd was zu arbeiten, daß sie nicht müßig steht.“ Aber der alte König hatte keine Arbeit für sie und wußte nichts, als daß er sagte „da hab ich so einen kleinen Jungen, der hütet die Gänse, dem mag sie helfen.“ Der Junge hieß Kürdchen (Konrädchen), dem mußte die wahre Braut helfen Gänse hüten.

Bald aber sprach die falsche Braut zu dem jungen König „liebster Gemahl, ich bitte Euch, tut mir einen Gefallen.“ Er antwortete „das will ich gerne tun.“

„Nun so laßt den Schinder rufen und da dem Pferde, worauf ich hergeritten bin, den Hals abhauen, weil es mich unterwegs geärgert hat.“ Eigentlich aber fürchtete sie, daß das Pferd sprechen möchte, wie sie mit der Königstochter umgegangen war.

Nun war das so weit geraten, daß es geschehen und der treue Falada sterben sollte, da kam es auch der rechten Königstochter zu Ohr, und sie versprach dem Schinder heimlich ein Stück Geld, das sie ihm bezahlen wollte, wenn er ihr einen kleinen Dienst erwiese.

In der Stadt war ein großes finsteres Tor, wo sie abends und morgens mit den Gänsen durch mußte, „unter das finstere Tor möchte er dem Falada seinen Kopf hinnageln, daß sie ihn doch noch mehr als einmal sehen könnte.“ Also versprach das der Schindersknecht zu tun, hieb den Kopf ab und nagelte ihn unter das finstere Tor fest.

Des Morgens früh, da sie und Kürdchen unterm Tor hinaustrieben, sprach sie im Vorbeigehen

„o du Falada, da du hangest,“

da antwortete der Kopf

„o du Jungfer Königin, da du gangest, wenn das deine Mutter wüßte, ihr Herz tät ihr zerspringen.“

Da zog sie still weiter zur Stadt hinaus, und sie trieben die Gänse aufs Feld. Und wenn sie auf der Wiese angekommen war, saß sie nieder und machte ihre Haare auf, die waren eitel Gold, und Kürdchen sah sie und freute sich, wie sie glänzten, und wollte ihr ein paar ausraufen. Da sprach sie

„weh, weh, Windchen,

nimm Kürdchen sein Hütchen,

und laß'n sich mit jagen,

bis ich mich geflochten und geschnatzt,

und wieder aufgesatzt.“

Und da kam ein so starker Wind, daß er dem Kürdchen sein Hütchen wegwehte über alle Land, und es mußte ihm nachlaufen. Bis es wiederkam, war sie mit dem Kämmen und Aufsetzen fertig, und er konnte keine Haare kriegen.

Da war Kürdchen bös und sprach nicht mit ihr; und so hüteten sie die Gänse, bis daß es Abend ward, dann gingen sie nach Haus.

Den andern Morgen, wie sie unter dem finstern Tor hinaustrieben, sprach die Jungfrau

„o du Falada, da du hangest,“

Falada antwortete

„o du Jungfer Königin, da du gangest, wenn das deine Mutter wüßte, ihr Herz tät ihr zerspringen.“

Und in dem Feld setzte sie sich wieder auf die Wiese und fing an ihr Haar auszukämmen, und Kürdchen lief und wollte danach greifen, da sprach sie schnell

„weh, weh, Windchen,

nimm Kürdchen sein Hütchen,

und laß'n sich mit jagen,

bis ich mich geflochten und geschnatzt,

und wieder aufgesatzt.“

Da wehte der Wind und wehte ihm das Hütchen vom Kopf weit weg, daß Kürdchen nachlaufen mußte; und als es wiederkam, hatte sie längst ihr Haar zurecht, und es konnte keins davon erwischen; und so hüteten sie die Gänse, bis es Abend ward.

Abends aber, nachdem sie heim gekommen waren, ging Kürdchen vor den alten König und sagte „mit dem Mädchen will ich nicht länger Gänse hüten.“ „Warum denn?“ fragte der alte König. „Ei, das ärgert mich den ganzen Tag.“

Da befahl ihm der alte König zu erzählen, wies ihm denn mit ihr ginge. Da sagte Kürdchen „morgens, wenn wir unter dem finsteren Tor mit der Herde durchkommen, so ist da ein Gaulskopf an der Wand, zu dem redet sie

„Falada, da du hangest,“

da antwortet der Kopf

„o du Königsjungfer, da du gangest, wenn das deine Mutter wüßte, das Herz tät ihr zerspringen.“

Und so erzählte Kürdchen weiter, was auf der Gänsewiese geschähe, und wie es da dem Hut im Winde nachlaufen müßte.

Der alte König befahl ihm, den nächsten Tag wieder hinauszutreiben, und er selbst, wie es Morgen war, setzte sich hinter das finstere Tor und hörte da, wie sie mit dem Haupt des Falada sprach; und dann ging er ihr auch nach in das Feld und barg sich in einem Busch auf der Wiese.

Da sah er nun bald mit seinen eigenen Augen, wie die Gänsemagd und der Gänsejunge die Herde getrieben brachte, und wie nach einer Weile sie sich setzte und ihre Haare losflocht, die strahlten von Glanz. Gleich sprach sie wieder

„weh, weh, Windchen,

faß Kürdchen sein Hütchen,

und laß'n sich mit jagen,

bis daß ich mich geflochten und geschnatzt,

und wieder aufgesatzt.“

Da kam ein Windstoß und fuhr mit Kürdchens Hut weg, daß es weit zu laufen hatte, und die Magd kämmte und flocht ihre Locken still fort, welches der alte König alles beobachtete. Darauf ging er unbemerkt zurück, und als abends die Gänsemagd heim kam, rief er sie beiseite und fragte, warum sie dem allem so täte.

„Das darf ich Euch nicht sagen, und darf auch keinem Menschen mein Leid klagen, denn so hab ich mich unter freiem Himmel verschworen, weil ich sonst um mein Leben gekommen wäre.“ Er drang in sie und ließ ihr keinen Frieden, aber er konnte nichts aus ihr herausbringen. Da sprach er „wenn du mir's nicht sagen willst, so klag dem Eisenofen da dein Leid,“ und ging fort.

Da kroch sie in den Eisenofen, fing an zu jammern und zu weinen, schüttete ihr Herz aus und sprach „da sitze ich nun von aller Welt verlassen, und bin doch eine Königstochter, und eine falsche Kammerjungfer hat mich mit Gewalt dahingebracht, daß ich meine königlichen Kleider habe ablegen müssen, und hat meinen Platz bei meinem Bräutigam eingenommen, und ich muß als Gänsemagd gemeine Dienste tun. Wenn das meine Mutter wüßte, das Herz im Leib tät ihr zerspringen.“

Der alte König stand aber außen an der Ofenröhre, lauerte ihr zu und hörte, was sie sprach. Da kam er wieder herein und hieß sie aus dem Ofen gehen. Da wurden ihr königliche Kleider angetan, und es schien ein Wunder, wie sie so schön war. Der alte König rief seinen Sohn und offenbarte ihm, daß er die falsche Braut hätte: die wäre bloß ein Kammermädchen, die wahre aber stände hier, als die gewesene Gänsemagd.

Der junge König war herzensfroh, als er ihre Schönheit und Tugend erblickte, und ein großes Mahl wurde angestellt, zu dem alle Leute und guten Freunde gebeten wurden. Obenan saß der Bräutigam, die Königstochter zur einen Seite und die Kammerjungfer zur andern, aber die Kammerjungfer war verblendet und erkannte jene nicht mehr in dem glänzenden Schmuck.

Als sie nun gegessen und getrunken hatten und gutes Muts waren, gab der alte König der Kammerfrau ein Rätsel auf, was eine solche wert wäre, die den Herrn so und so betrogen hätte, erzählte damit den ganzen Verlauf und fragte „welches Urteils ist diese würdig?“

Da sprach die falsche Braut „die ist nichts Besseres wert, als daß sie splitternackt ausgezogen und in ein Faß gesteckt wird, das inwendig mit spitzen Nägeln beschlagen ist: und zwei weiße Pferde müssen vorgespannt werden, die sie Gasse auf, Gasse ab zu Tode schleifen.“

„Das bist du,“ sprach der alte König, „und hast dein eigen Urteil gefunden, und danach soll dir widerfahren.“ Und als das Urteil vollzogen war, vermählte sich der junge König mit seiner rechten Gemahlin, und beide beherrschten ihr Reich in Frieden und Seligkeit.

 

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Titelbild: Die Gänsemagd (um 1940), Johann-Mithlinger-Siedlung, Raxstraße 7-27